Pamir… eine Erstbesteigung
Die Meinungen unserer Teilnehmer sind uns wichtig. Erfahrt hier, was unsere Teilnehmer über die gemeinsame Tour berichten:
„Jeder Mensch träumt davon, etwas ganz Besonderes in seinem Leben zu schaffen. Für einen Bergsteiger ist das die Besteigung eines Berges, auf dem noch niemand zuvor war.“ Dieser Satz aus dem Film über die Erstbesteigung des Pik Humboldt in Tien Schan war der Auslöser der Idee der Erstbe-steigungsexpedition aus der Stadt Hannover. Das schien Bernhard Frommelt – dem 2. Vorsitzenden und einem der Gründer des Alpinclubs Hannover ein angemessener Beitrag zum 10jährigen Jubiläum des neuen hannoveranischen Bergsteigervereins.
So wurde die Idee geboren und ohne langes Hin und Her begann die Arbeit an der Verwirklichung. 2007 wurde das Projekt auf der Jahresversammlung des Alpinclubs vorgeschlagen und begeistert angenommen. Im Sommer wurde die Liste mit den potentiellen Teilnehmern festgelegt und der Plan zur Vorbereitung ausgearbeitet. Schon wegen der vorgesehenen Höhe des Berges – mindestens ein 5-Tausender – war klar, dass ein gewissenhaftes Training unter Eis- und Schneebedingungen nötig sein würde. Aus diesem Grund organisierte Bernhard schon im Herbst auf dem Monte Rosa-Gletscher im Wallis eine Trainingswoche mit 10 Teilnehmern, die dort das Bergsteigen im Expediti-onsstil mit Zelt und Selbstverpflegung übten. Im Verlaufe des Jahres 2008 bereitete sich jeder der Interessenten durch persönliches Training in den Alpen vor. Einige Kandidaten nahmen auch an der Kaukasusexpedition für die Besteigung des Elbrus vom Norden her teil. Bei dieser Expedition lernten sie das Besteigen eines Berges abseits des Massentourismus und allein auf sich selbst gestellt kennen.
Für mich stand die Aufgabe, einen passenden Berg zu finden. Unbestiegene Gipfel gibt es in Kirgistan wie Sand am Meer. 5- und 6-Tausender unter ihnen sind jedoch etwas seltener. Ein Problem bestand darin, dass wenig Informationen über die Regionen und Berge vorhanden waren sowie in erster Linie ein passender Zugang zu einem Berg fehlte. Die Regionen, die nur mit dem Hubschrauber oder durch mehrtägigen Anmarsch zu erreichen waren, habe ich gleich ausgeschlossen. So eine Variante hätte die Reise von Anfang an viel zu teuer gemacht. Nach einigen Vorschlägen meines Partners in Kirgistan suchte ich eine Region im Pamir am Kamm Irkeschtam im Nura Tal im Süden Kirgistans, direkt an der Grenze zu China, aus. Bis zur Siedlung Nura am Zusammenschluss des Alai- und Nura-Tals können wir mit dem Auto fahren. Am Kamm gab es eine ganze Reihe von 5-Tausendern, die alle namenlos wa-ren, da sie noch keiner bestiegen hatte. Wir bekamen auch ein Foto des Berges von einer russischen Expedition, deren Versuch der Erstbesteigung erfolglos geblieben war. Ich vermute, dass das an den technischen Schwierigkeiten des Berges lag, denen sie nicht gewachsen waren. Weitere Informatio-nen bezogen wir von Google map. Mein Vorschlag wurde in Hannover begeistert angenommen. Bernhard verbrachte mehrere Stunden am Computer und stellte mit Hilfe von verschiedenen Pro-grammen eine Karte zusammen, mit der wir die Route einigermaßen realistisch planen konnten.
Als nächste Etappe der Vorbereitung war ein Eiskletterkurs im Winter 2009 für die Teilnehmer in Hohe Tauern in Rauris vorgesehen. Alle Kandidaten sind gute Kletterer, haben aber mit einigen Aus-nahmen wenig Erfahrung mit steilen Eiswänden. Daran haben wir in Rauris an zahlreichen Wasserfäl-len gearbeitet.
Die Gruppe ist 8 Personen stark. Der Älteste 54, der Jüngste 29 Jahre alt. Alle sind sehr motiviert, aktive Bergsteiger und Sportler. 7 Männer und eine Frau – Bernadette. Den Termin für die Besteigung haben wir für Anfang September 2009 festgelegt, da im September im Pamir das stabilste Wetter besteht und die Saison auf dem Pik Lenin zu Ende geht und wir deren Basislager, Zelte und Ausrüs-tung für unsere Expedition benutzen können. Das wird für uns die Kosten minimieren. Im Frühling 2009 ist alles vorbereitet: Flugtickets nach Bischkek gekauft, Visa für Kirgistan in Reisepässe geklebt, Karten mit Hilfe von Google map zusammengestellt, Ausrüstung geprüft und per Kargo nach Bischkek abgeschickt. Wir bekamen auch Förderungsmittel vom DAV in München und auch von der Sektion Alpinclub Hannover.
Der Sommer ist schnell vergangen: ich war sechsmal mit den Gruppen auf dem Elbrus und bin am 6. August mit meiner Gruppe nach Kirgistan zum Pik Lenin geflogen. Alle diese Aktivitäten haben für eine gute Höhenakklimatisierung gesorgt, jedoch hat sich auch eine gewisse Erschöpfung gezeigt. Langsam fange ich an, mein Alter zu spüren. Bernhard ist auch auf den Pik Lenin mitgekommen: sehr vernünftig – wenn man um den halben Erdball fliegt, muss man auch die Gelegenheit nutzen und einen 7-Tausender versuchen. Das ist auch eine sehr gute Vorbereitung für die Erstbesteigung, be-sonders in Punkto Höhenakklimatisierung und wird sich später wirklich auszahlen.
Nach der erfolgreichen Besteigung des Pik Lenin bringe ich die Gruppe zum Flughafen nach Osch und hole die Erstbesteiger dort ab. In dieser Zeit bauen Bernhard und Oleg – mein Freund und unser ein-heimischer Bergführer, der in Kirgistan immer mit meinen Gruppen arbeitet, das Basislager am Pik Lenin ab und transportieren es ins Nura Tal zum Irkeschtam Kamm. Mit uns sind zwei einheimische Helfer, Andrei und Wahid, und unser legendärer Koch, die gute Seele des Lagers 1 auf dem Pik Lenin, Bachadyr. Drei Kisten mit unserer Ausrüstung sind bereits im Basislager. Nach dem langen Flug von Deutschland nach Osch und einem kurzen Mittagsschläfchen im Hotel, gehen wir erst einmal auf den Markt in Osch. Das asiatische Flair des größten Marktes in Kirgistan mit seinen exotischen Früchten und Düften, der Gelassenheit und Freundlichkeit der Menschen, nehmen die Gruppe sofort gefangen und stimmen auf das Abenteuer, das vor uns steht, ein. Es wurden gleich Spezialitäten und Kräuter für Zuhause gekauft. Früh am nächsten Tag nehmen wir mit einem Allradantrieb-Wagen Kamaz den langen Weg zu unserem unbekannten Berg in Angriff. Die Fahrt dauert fast 12 Stunden, ist aber keinesfalls langweilig. Das relativ dicht besiedelte Fergana-Tal wird durch die karge Landschaft der 3000 m hohen Pässe abgelöst.
Spätabends erreichen wir die Siedlung Nura in Alai Tal. Von hier aus sind noch 12 km ohne eine gesicherte Straße bis zu unserem frisch eingerichteten Basislager zurückzulegen. Hier wartet auf uns ein fürstliches Abendbrot mit drei Gängen und Bier. Danach beginnt die Bespre-chung. Oleg und Bernhard haben schon die Gegend erkundet und erste Bilder von unserem Berg gemacht. Der Durchgang dem orografisch linken Ufer des Flusses Nura entlang ist nicht möglich: 2 km oberhalb des Lagers bricht der Hang fast senkrecht zum Fluss ab. Den ganzen nächsten Tag versuchen wir das Lager mit unserem Allradauto auf das andere Ufer zu bringen – keine Chance: der Strom ist zu stark und der Flussgrund sehr uneben. Wir lassen das Lager an der alten Stelle und bauen eine Seilüberquerung auf. Jetzt wird für uns jeder Abmarsch vom Basislager mit der spektakulären Übersetzung über das tobende Wasser auf das andere Ufer des Flusses beginnen.
Die erste Aufklärungstour führt uns bis zum Gletscher Nura. Von hier aus sehen wir das erste Mal unseren Berg und sind beeindruckt. Auf dem Gletscher richten wir unser Lager 1 ein und bringen mit Hilfe von Andrei und Wahid die ganze Ausrüstung und Lebensmittel vom Basislager herauf. Nun müssen wir auf die vorzügliche abwechslungsreiche Küche von Bachadyr verzichten. Beim nächsten Ausflug erkunden wir den weiteren Weg und hinterlassen ein Depot. Der Gletscher ist zwar flach, aber sehr zerrissen. Den richtigen Weg zwischen den Spalten zu finden kostet uns viel Zeit und Kraft. Nach einem Tag Pause zur Kraftregenerierung begeben wir uns zum geplanten Sturmlager auf dem Pass im Oberlauf des Gletschers an der Nordwand unseres Berges. Hier erwartet uns die nächste Überraschung: 3 km vor dem Pass bildet der Gletscher einen Absatz und hier befinden sich viele offene und versteckte Spalten. Wir versuchen mit Oleg den Gletscher zu erkunden: innerhalb einer Stunde sind wir abwechselnd viermal in Spalten geraten. Der Weg ist zu riskant. Wir schlagen das Zwischenlager (Lager 2) auf. Der einzig mögliche Weg führt über eine Seitenmoräne. Das steile Geröll und große Felsen erschweren die Fortbewegung. Für 4 km bis zum geplanten Sturmlager brauchen wir fast den ganzen Tag. Dabei haben wir nur Zelte und Essen für 2 Tage. Bernadette hat sich eine Erkältung zugezogen und sie und Joachim bleiben im Lager 2 und werden hier auf uns warten. Das Lager 3 befindet sich in 4700 m Höhe. Die Luft ist dünn. Nur Bernhard, Oleg und ich haben keine Schwierigkeiten – vor 3 Wochen waren wir auf einem 7000-Tausender. Dadurch sind unsere Körper schon an diese Höhe gewöhnt.
Der Weg zum Gipfel liegt vor uns. Vom aufgeschlagenen Sturmlager betrachten wir die mögliche Aufstiegsroute und sehen überwiegend Eiswände vor uns, größtenteils mit Schnee bedeckt. An einigen Stellen blitzt in der Sonne blankes Eis. Im oberen Teil befinden sich auch Felsen. Von der Karte her ist es 50 – 60 Grad steil. Es ist der 14. Tag der Expedition. Sehr viel Zeit haben wir nicht mehr. Für den nächsten Tag planen wir, dass heißt Oleg, Kai und ich, den Aufstieg so weit es geht und präparieren den Weg. Andere steigen bis zum Lager 2 ab und holen Seile und die übrige Ausrüstung herauf. Früh am Morgen beginnen wir mit dem Aufstieg. Zuerst ist der Schnee ziemlich locker. Nach einer Stunde Aufstieg gerate ich im Vorstieg in eine Gletscherspalte. Ich bleibe am Seil hängen, aber das schwarze bodenlose Loch unter meinen Beinen lässt mich erschaudern. In etwa 200 Höhenmetern verwandelt sich der Schnee in harten Firn, aber die Bindung zum Eis ist gut und wir gehen mit gleichzeitiger Sicherung. An einigen Stellen ist der Berg sehr steil und mit Eis bedeckt und wir sichern uns abwechselnd. Der Höhenmesser zeigt 5400 m an. Wir haben nur noch drei Stunden Zeit, bevor die Dunkelheit einsetzt und müssen umkehren. Das Ergebnis der Erkundungstour: bis zum Gipfel gibt es keine Möglichkeit für ein weiteres Zwischenlager, wir müssen an einem Tag 1100 Höhenmeter be-wältigen und das schaffen wir nur, wenn wir ein hohes Tempo gehen und die Sicherung nur dort le-gen, wo das wirklich absolut notwendig ist. Für mich und Oleg ist das kein Problem (wir vertrauen einander völlig und sind sicher auch im steileren Eis), aber Kai hat sich manchmal unsicher gefühlt. Wie werden andere darauf reagieren? Abends sammeln wir uns wieder zur Beratung. Jetzt ist die ganze Ausrüstung da, aber nach dem schweren Tag fühlen sich alle erschöpft. Einstimmig legen wir vor dem Gipfeltag einen Ruhetag ein. Das Wetter scheint stabil zu sein – hoffentlich bleibt es so. Dann kommt etwas Unerwartetes: Michael Lindner, Thomas und Rainer sind von der Steilheit der Wand beeindruckt, fühlen sich dieser Wand nicht gewachsen und verzichten darauf, den Gipfel zu ersteigen. Sie werden uns aus dem Lager 3 beobachten, Funkkontakt halten und unterstützen. Auf den Gipfel gehen Michael und Bernhard Frommelt, Kai Arzdorf, Oleg Turarev und ich. Am nächsten Tag ist herrliches Wetter. Die Natur zeigt uns bei Sonnaufgang ein prächtiges Farbenspiel. Es ist wind-still, die weißen Berge glitzern in der Sonne. Abends verfärben sich die Gipfel rötlich. Im Westen leuchtet noch rosa der letzte Gipfel der Bergkette – der fast 6000 m hohe „Morgenrot des Ostens“. Der Himmel ist übersät mit zahllosen Sternen. Wir versammeln uns noch einmal, besprechen alle Details für den nächsten Morgen und entscheiden über die Namensnennung des Berges. Alle einigen sich auf den Namen „Pik Leibniz“. Der Name des großen deutschen Universalgelehrten ist eng mit Hannover verbunden, fast alle Teilnehmer sind Absolventen der Leibniz Universität.
Mit dem 12. September 2009 ist der große Tag unserer Erstbesteigung gekommen. Das Wetter spielt mit: es ist klar und ruhig. Noch im Dunkeln brechen wir zur Besteigung des Berges auf. Über die vor-her gelegten Spuren erreichen wir sehr schnell eine Höhe von 5500 m. Danach beginnt das Unbe-kannte. Oleg und ich steigen abwechselnd vor, die zweite Dreierseilmannschaft geht hinter uns. Wir empfinden Glück und Courage. Alles gelingt, wir gehen zügig. Der Hang wird steiler, aber der Schnee hält gut und wir gehen mit gleichzeitiger Sicherung. Das spart uns eine Menge Zeit. An den Felsen ist der Schnee locker und es gibt keine Möglichkeit sie zu umgehen. Wir sichern uns mit Schneeankern. Nicht ideal, aber für Eisschrauben ist die Eisschicht auf den Felsen zu dünn. Der Schnee trampelt sich runter, aber bleibt zum Glück stabil. Oberhalb der Felsen ist wieder harter Firn. Jetzt geht es schnel-ler. Um 14 Uhr sind wir auf dem Gipfel! Wegen der Gipfelwächter bauen wir etwas unterhalb des Gipfels die Sicherung auf und machen abwechselnd Gipfelfotos. Nach einer Stunde kommen Bern-hard, Michael und Kai nach. Auf dem Gipfel hinterlassen wir eine Schachtel mit dem Gipfelbuch, in dem wir alle Teilnehmer der Expedition eintragen. Wir sind nur die Krönung der Arbeit von allen, die jetzt auf uns unten warten. Ein schon bekanntes Glücksgefühl wie vor sechs Jahren bei der geglück-ten Erstbesteigung des Pik Humboldt stellt sich ein. Über Satellitentelefon rufen wir in Hannover und Bischkek an. Dann müssen wir möglichst schnell zurück in die sichere Obhut. Das Glück sollte man nicht provozieren.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit treffen wir bei unseren Zelten ein. Unsere Freunde begrüßen uns mit heißem Tee und fertigem Abendbrot. Ein Gruppenbild wird noch gemacht, und dann wir kriechen in unsere Zelte und fallen in tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Das Wet-ter verwöhnt uns. Wir bauen die Zelte ab und in drei Seilschaften steigen bis zum Lager 2 ab. Hier warten auf uns Bernadette und Joachim, von unten aufgestiegen sind Andrej und Wahid. Mit ihrer Hilfe bringen wir das ganze Material auf einmal ins Lager 1. Hier warten auf uns Wassermelonen und Äpfel und herrlich schmackhafte „Pirogki“ (Teiggebäck) von Bachadyr, die unsere beiden netten Helfer vom Basislager für uns mitgebracht haben.
Am nächsten Tag sind wir wieder im Basislager. Die Seilüberquerung über den Fluss wird abgebaut. Das wirkt wie ein Schlussstrich. Die Tür schließt sich hinter uns. Auf dem Berg, wo wir gerade als erste waren, bleibt alles unverändert, wie Tausende von Jahren vor uns. Unsere Spuren verschwinden schon in Kürze. Nur uns bleiben diese Tage für immer in der Erinnerung.
Teilnehmer:
- Alexios Passalidis Expeditionsleiter
- Oleg Turaev kirgisischer Berführer
- Bernhard Frommelt
- Michael Frommelt
- Thomas Sendor
- Kai Arzdorf
- Bernadette Meier
- Joachim Behlau
- Michel Lindrum
- Rainer Kubiak
Daten der Expedition:
Zeit: 29.08. – 19.09.2009
Land: Kirgistan
Gebirge: Pamir
Berg: Pik Leibniz. Lage: 39’’28’58.25’ N 73’’52’27.84’ E. Höhe 5797 m. Schwierigkeitsgrad: russisch: 4B, UIAA: D/TD-